Fremder Glanz

04:59 17.04.2006
by EBSON

26.01.2004
Zukunft durch Ändern der Herkunft?

Zwischen den Städten in Deutschland gibt es Gerangel um die ständig knapper werdenden Landes- und Bundesgelder. Jede Kommune versucht auf Ihre Art, sich ein möglichst großes Stück vom Kuchen abzuschneiden. Das ist legitim, sofern jede auf ihre eigen Art für sich wirbt. Auch innerhalb des Landes Sachsen gibt es schon seit vielen Jahrzehnten diese Konkurrenz. Zentren, wie Leipzig oder Dresden können auf eine reiche Geschichte zurückblicken mit der es einfach ist, Werbung in eigener Sache zu betreiben.

Auch Chemnitz verfügt über eine lange, großartige Geschichte, auch die der Arbeiterbewegung, welche besonders mit der frühkapitalistischen Industrialisierung begann. Unbestritten stammen aus Chemnitz hervorragende Entwicklungen, welche der Stadt und dem Land Sachsen zu hohem Ansehen verholfen haben. Schaut man im Online-Lexikon Wikipedia nach, fällt auf, dass Chemnitz zwischen 1930 und 1946 anscheinend keinen Ehrenbürger hatte.

Nur 45 Km westlich von Chemnitz liegt die viert-größte Stadt Sachsens. Zwickau hat seit der Wende auf dem heutigen Territorium ca. 50 000 Einwohner verloren und beherbergt nur noch knapp über 100 000 Einwohner. Auch diese Stadt ist reich an Geschichte und Traditionen. Der Silbererzbergbau im Westerzgebirge hat sie im Mittelalter zu einer der Reichsten in Deutschland gemacht. Spätestens seit Martin Römer haben die Bürger aus Zwickau und Region Heimat-Sinn entwickelt.

Um so erstaunlicher ist, dass das große Chemnitz, mit seiner reichen Industriegeschichte und Arbeitertradition Zwickau "umarmt", um damit Werbung in eigener Sache zu machen. Bis 1900 reichte die Kreishauptmannschaft Zwickau (Regierungsbezirk) von Chemnitz bis Plauen. Dann begann die Entwicklung, die mit der Abschaffung der Länder in der DDR an Fahrt gewann. Chemnitz, später Karl-Marx-Stadt, wurde Bezirkshauptstadt. Dahinter lag die Absicht der SED, "Karl-Marx-Stadt" möglichst täglich auf den ersten Seiten im Blätterwald wiederzufinden. Sie sollte nämlich zur Musterstadt der sozialistischen Entwicklung werden. Deswegen wurde hier auch der größte Bronze-Nischel der Welt aufgestellt (das Karl-Marx-Monument).

An dieser Stelle sei einmal vermerkt, was mit "Umarmung" gemeint ist:

Georgius Agricola (nicht zu verwechseln mit Ricola aus der Schweiz):
Der Begründer der wissenschaftlichen Mineralogie lebte und lehrte im Mittelalter 4 Jahre an der Leiteinschule in Zwickau, bevor er Bürgermeister in Chemnitz wurde. Geboren wurde er im nahen Glauchau, nur 10 Km von Zwickau entfernt. Aus Chemnitzer Sicht liegt "Glauchau bei Chemnitz" - also ein Vorort von Chemnitz?
Wer hat's erfunden? (Nicht die Schweizer!)

FREIE PRESSE:
Zwickau hatte bereits seit dem Jahre 1802 eine Zeitung. Nach 1945 ging aus der Neuen Zwickauer Zeitung die FREIE PRESSE hervor. Sie war eines der Zentralorgane der SED. Mit Beschluss der SED-Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt wurde festgelegt, dass die Zeitung ab 1.1.1963 nach Karl-Marx-Stadt umziehen muss. Die Karl-Marx-Städter "Volksstimme" war zu unbekannt und wurde aufgegeben. Da gab es auch schon zu viele "Volksstimmen" in DDR-Großstädten. Mit der Zeitung verlor Zwickau auch die Hauptredaktion und den Verlag!

Robert Schumann:
Ganz aus dem Rahmen fällt die Maßnahme, dass 1983 anlässlich des 150 jährigen Jubiläums der Stadtkapelle Chemnitz diese in "Robert Schumann Philharmonie" umbenannt wurde. Der damaligen Generalmusikdirektors Dieter Gerhard Worm hatte mit Unterstützung der SED-Bezirksleitung dieses Steckenpferd geritten. Und das, obwohl Robert Schumann mit Chemnitz in keinerlei Beziehung stand.
>> FREIE PRESSE, 01.02. 2008, Seite B6
Die Theater in Zwickau und Plauen mussten wegen fehlender Mittel zusammengehen. Chemnitz hat dagegen ein 120 Mann Orchester und ausreichend Mittel für Tourneen, trotz knapper Kassen. Geschätzte 5 Mio EURO /Jahr !!! Der einst von der SED begangenen Identitätsraub wurde nicht rückgängig gemacht. Was kann schon durch einen geklauten Namen traditionsreich sein?
>> Theater-Chemnitz

Hochschulen:
Zwickau hatte 2 Hochschulen, die Pädagogische Hochschule und die Ingenieurhochschule.
1986 wurde die Hochschule Karl-Marx-Stadt zur Technischen Universität ernannt und die Ingenieur-Hochschule Zwickau durfte danach 1989 Technische Hochschule werden. Nach der Wende wurde die TH Zwickau in den Rang einer FH zurück versetzt. Die Pädagogische Hochschule Zwickau wurde der TU Chemnitz angegliedert. Damit entstand die TU Chemnitz-Zwickau. Nur 5 Jahre später ließ man Zwickau fallen und schuf sich ein Alleinstellungsmerkmal, indem man die Einrichtung in TU Chemnitz umbenannte. Durch diesen Trick wurde den Zwickauern auch das Promotionsrecht entführt. >> klick hier

100 Jahre Automobilbau in Zwickau:
Beim näherer Betrachtung ahnt man, was daraus gemacht wurde: 100 Jahre Automobilbau in der Region Chemnitz-Zwickau. Somit wird die Wiege des sächsischen Automobilbaus, begründet durch HORCH und AUDI in Zwickau, sukzessiv in Richtung Osten verlagert.

Das Schmücken mit fremde Federn ist, wie schon in der Vergangenheit, immer noch aktuell. Wird bald die Fritz Heckert Stadt Chemnitz zur Robert Schumann Stadt?

Gemeinsamkeiten in der Öffentlichkeit zu betonen ist OK. Gegen Partnerschaft ist nichts zu sagen, gegen Hegemoniestreben schon! Die einseitige Vereinnahmung ist einem solchen Miteinander jedoch nicht dienlich. Man sollte doch endlich die Glocken im Dom hängen lassen! Schließlich fließt das Flüsschen Chemnitz in die Zwickauer Mulde und nicht umgekehrt!

Der ehemalige Oberbürgermeister von Chemnitz, der Zwickauer Dr. Seifert, hatte nicht realisiert, dass die Zwickauer Bürger die Umarmung aus Chemnitz in dieser Art nicht mögen. Die Identifikation mit der eigenen Heimatgeschichte ist dafür in Zwickau zu groß.

Hardy Domingo
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